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Quo vadis FWS Bonn?

Gedanken zu Schule und Schulentwicklung

Immer weniger Studienanfänger*innen wollen Lehrer*innen werden, etliche brechen ihr Lehramtsstudium ab oder steigen nach der ersten Praxiserfahrung wieder aus. Auch die Zahl der Student*innen an den Waldorfausbildungsstätten geht kontinuierlich zurück. Lehrer*in oder vielleicht sogar Waldorflehrer*in zu werden ist offenbar nicht mehr so erstrebenswert wie noch vor 20 Jahren. Für uns als Waldorfschule heißt das, konkurrenzfähiger zu werden, in dem wir Arbeitsplätze bieten, die attraktiv sind. Wir müssen eine Schule werden, an der das Unterrichten Freude bereitet, an der Berufsanfänger*innen und Quereinsteiger*innen die Arbeit mit Kindern als sinnvoll, tief befriedigend und schaffbar erleben. - Die Kinder sind da und warten auf ihre Lehrer*innen.

 

Hinter dem Mangel an Lehrer*innen, der ja alle Schulformen betrifft, steht für uns als Waldorfschule aber noch eine tiefergehende Aufgabe. Wir sind als Reformschulbewegung nach nunmehr über 100 Jahren Wachstum unmerklich in die Jahre gekommen und hier und da auch in eine Krise geraten. Sind die äußeren Formen noch innerlich erfüllt, haben wir einen lebendigen Bezug zum Zeitgeschehen und sind wir in Teilen nicht bereits im Durchhalte - oder Überlebensmodus? Vieles klappt gut und hat nach wie vor Strahlkraft, wie etwa unsere Klassenspiele, die Praktika, der qualifizierte handwerklich- künstlerische Unterricht oder der Verzicht auf Noten zugunsten von Entwicklungsberichten u.v.m. Dennoch spüren wir, dass wir in den Klassen ab der oberen Mittelstufe und in der Oberstufe nicht mehr allen Schüler*innen gerecht werden. Kann eine Lehrkraft in einer ungeteilten Übstunde wirklich alle erreichen? Haben unsere Schüler*innen ausreichend gelernt selbstständig zu arbeiten? Fühlen sich die Schüler*innen wahrgenommen, finden wir mit ihnen den Bezug zum Zeitgeschehen, zu ihren Fragen und Sorgen? Gestalten wir unseren Unterricht aus der Wahrnehmung der Schüler*innen? Alle diese Fragen münden in der zentralen Frage: Sind wir in Entwicklung?

 

Das Verharren in den bewährten Formen, auch bedingt durch unzureichende Bezuschussung und den beschriebenen Lehrermangel, weist alle Waldorfschulen auf die Entwicklungsfrage hin. Wie bewahren wir die Qualitäten, die uns wichtig sind und wo müssen wir die Inhalte, die Methoden, die Art der Ansprache und den Umgang mit den Schüler*innen weiter entwickeln? Rudolf Steiner hat die Waldorfschulpädagogik nicht als starres System verstanden. Ihm war es wichtig, dass wir uns an einem erweiterten Menschenbild, den Kindern und Jugendlichen, an ihrer Entwicklung, ihren Fragen und an den Fragen der Zeit orientieren.

 

Wie geht Entwicklung an einer „gewöhnlichen“ Waldorfschule?

 

Diese Frage ist der Ausgangspunkt für unsere Überlegungen gewesen, die wir mit dem Kollegium und der Unterstützung der Software AG vor einem Jahr in Angriff genommen haben. Wo stehen wir heute? Zunächst wurden Pilotprojekte in Angriff genommen: Wir haben seit diesem Schuljahr ein Waldorf- Einarbeitungsseminar, in dem die neuen Kolleg*innen intensiv von Michaela Schmiedl betreut werden. Wir probieren in den beiden 1. Klassen den starren Stundenplan aufzubrechen, uns an den Bedürfnissen der Kinder zu orientieren, fließende Übergänge und die passende Länge für die einzelnen Lerneinheiten zu finden. Ein Waldtag soll das ganzheitlichere Lernen in Verbindung mit der Natur fördern. Eine Schülerfirma für Schulmöbelbau entsteht gerade, in der Schüler*innen Erfahrungen als Unternehmensgründer*innen sammeln können. Zudem möchten wir verstärkt von anderen Schulen lernen, blicken aktiv über den Zaun und treten in einen engeren Austausch mit unseren Nachbarschulen.

 

Entwicklung heißt immer ein Ringen zwischen dem Bewährten und neuen Impulsen. Im Laufe der letzten Wochen wurde deutlich, dass Entwicklungsimpulse auch bei uns im Sande verlaufen, wenn sich zu den neuen Ideen und Idealen kein gesunder Realitätssinn gesellt. Was sind die konkreten Probleme, mit denen die Kolleg*innen heute an unserer Schule konfrontiert sind? Müssen wir nicht zunächst die Situation an unserer Schule analysieren? Was sagen Schulabgänger*innen zur FWS Bonn? So sind wir erneut damit beschäftigt, wie eine Schulbefragung aussehen kann. Eine wichtige Vorarbeit haben bereits Eltern dieser Schule gelegt, die wir jetzt mit Hilfe von Studenten der Alanus Hochschule konkretisieren und umsetzen werden.

 

Eine grobe Richtung schält sich für die FWS Bonn heraus:

 

Die Lehrer*innen brauchen Unterstützung in ihrer Arbeit, um der Begabungsvielfalt in den Klassen gerecht zu werden. Jeder Schüler, jede Schülerin hat das Recht gesehen zu werden und seine und ihre Potenziale zu entfalten. Wir denken, dass wir hier investieren müssen. Eine praktische Ausbildung, z.B. im Schreinern im Sinne einer Berufsorientierung, gehört für die Oberstufe zu den immer wieder genannten Wünschen. Gleichzeitig wollen wir uns von kleinen Pilotprojekten, die wir zeitnah umsetzen können und die Freude bereiten, anstecken lassen. Bei allem werden wir Unterstützung brauchen. Gerne würden wir eine Stelle für Medienpädagogik schaffen und die oben benannte differenzierte Förderung stärken. Damit dies keine Luftschlösser bleiben sind wir im Austausch mit Stiftungen.

 

Entwicklung an der FWS Bonn in Gang zu setzen ist ein anspruchsvolles Unterfangen. Wir sind dran. Es ist eine notwendige Aufgabe und wir versuchen sie mit Realitätssinn und Offenheit für Neues anzugehen. Gleichzeitig sind wir dankbar für die wunderbare Arbeit, die vorhergehende Generationen geleistet haben und die täglich in den Klassen geleistet wird. Sei es das ausgezeichnete Spiel der 7. Klasse in englischer Sprache, eine gelungene Epoche in Kunstgeschichte in einer 9. Klasse oder der Austausch zwischen dem Alfterer Bürgermeister und den Schüler*innen der 11. Klasse über Kommunalpolitik. Es gibt Vieles, auf das wir bauen können.

 

Zusammenfassung des Beitrags von Jörg Bothe,

geschäftsführender Vorstand Pädagogik der FWS Bonn,

an unserer Mitgliederversammlung am 4. Dezember 2024

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